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Magisch und melancholisch

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Du willst ein Buch, welches dich ab der ersten Seite in seinen Bann zieht, voller Magie, mit einem Hauch Nervenkitzel, eine berührende Lektüre, einfach zu lesen, einen Pageturner? Das alles trifft auf „Die Kunst des Verschwindens“ von Melanie Raabe zu. Ich kannte die Autorin bisher noch nicht, was vermutlich daran liegt, dass sie ausschließlich Thriller geschrieben hat. Ihr neuer Roman - diesmal kein Thriller - ist mir kürzlich auf der Spiegel-Bestsellerliste aufgefallen und mehrmals schon auf Instagram begegnet. Die Posts dazu haben mich sehr neugierig gemacht, und ich wollte das Buch unbedingt lesen. Innerhalb von drei Tagen habe ich es nun verschlungen, bin eingetaucht in das Leben von Nico und Ellen.  Die Fotografin Nicolette, genannt Nico, ist Anfang 30 und lebt in Berlin. Zwischen den Jahren begegnet sie zufällig der berühmten Schauspielerin Ellen Kirsch und fühlt sich fast magisch zu ihr hingezogen. Nach einigen Treffen verschwindet Ellen ganz plötzlich von einem Tag auf den...

Atmosphärisch sehr stark!

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Es gibt Bücher, da weiß man im Vorfeld schon, dass sie Bestseller werden. Dörte Hansens neuer Roman „Zur See“ gehört dazu - und das absolut berechtigt! Er erzählt von den Menschen einer Nordseeinsel. Menschen, die seit Generationen Seefahrer in ihren Familien haben. Die Familie Sander ist eine von ihnen. Jens, der Vogelwart, seine Frau Hanne und ihre erwachsenen Kinder.  Da ist Sohn Ryckmer, dem sein Kapitänspatent entzogen wurde, der in der Kneipe den Alltag vergessen will und von Killerwalen im Mittelmeer, von Portugiesischen Galeerenquallen, Elmsfeuern und grünen Lichtern auf See erzählt.  Tochter Eske, eine Altenpflegerin, die Heavy Metal braucht und auf Tätowierungen steht. Und Henrik, der Jüngste, der erste Sander, der kein Seefahrer wurde, der nicht mehr als seinen Strand und seine See braucht. Ein Künstler, immer auf der Suche nach Treibholz für seine Objekte, seine Treibgutwesen, mit denen er spricht wie mit seinem Hund und seinen Freunden.  Dörte Hansen erzählt ...

Ein Buch mit Längen

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In seinem neuen Roman „Lektionen“ erzählt Ian McEwan ein ganzes Leben. Das Leben von Roland Baines - als Jugendlicher von seiner Klavierlehrerin verführt, als Mann von der Ehefrau verlassen.   1958 wird er als 11-jähriger in ein Internat nach England geschickt, weit weg von seinen Eltern. Dort beginnt das, was prägend für sein Leben sein wird.  McEwan verwebt Rolands Geschichte gekonnt mit historischen Ereignissen aus sieben Jahrzehnten wie beispielsweise der Kuba-Krise, Tschernobyl, dem Mauerfall, 9/11 und der Pandemie.  Entstanden ist ein kluges, unterhaltsames Buch, das meiner Meinung nach jedoch Längen aufweist und durchaus mit ein paar Seiten weniger auskommen könnte. Auch die Zeitsprünge vor und zurück fand ich anfangs etwas anstrengend, sodass sich bei mir nach einem guten Start eine Leseflaute einstellte und ich somit für die ersten 300 Seiten zwei Wochen brauchte. Den Rest habe ich dann allerdings innerhalb von drei Tagen verschlungen. Plötzlich hatte mich der Ro...

Erschreckend und doch so großartig

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  Ursprünglich wollte ich dieses Buch erst lesen, wenn ich mein aktuelles beendet habe. Das hat allerdings nicht funktioniert, denn aus einem „Nur-mal-kurz-reinlesen" wurde ein „Ich-kann-nicht-mehr-aufhören". Die Geschichte hat einen Sog entwickelt, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte.  Worum geht’s? „Lügen über meine Mutter“ ist ein Roman mit autobiografischen Zügen.  Vater, Mutter, Kind - eine Familie Mitte der 80er Jahre in einem kleinen Ort im Westen Deutschlands.  Daniela Dröscher erzählt von ihrer Familie, von ihrer Kindheit. Von einem Vater, der seine beruflichen und gesellschaftlichen Misserfolge seiner Frau zuschiebt und deren Übergewicht. Zwischen beiden Elternteilen steht Ela, die Tochter. Sie ist hin- und hergerissen, wird manipuliert, versucht zu vermitteln.  Das alles ist so schrecklich, dass man nicht weiß, ob man schreien oder lachen soll. Es macht einen wütend, zornig, traurig, sprachlos. Und trotz allem ist es ein großartiges Buch, das man...

Erstklassige Lektüre

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Um es gleich vorweg zu nehmen - ich bin begeistert von Ferdinand von Schirachs neuer Lektüre „Nachmittage“! Wie bereits „Kaffee und Zigaretten“ ist auch das neue Buch ein Erzählband - eine Sammlung aus 26 Essays, Notizen, Beobachtungen. Es sind Erzählungen aus dem Leben, aus verschiedenen Städten weltweit.  Manche ganz kurz, andere länger.  Facettenreiche Erzählungen, thematisch breit gefächert, mit oftmals unerwartetem Ende - teilweise erschreckend, verblüffend, manchmal auch ein wenig amüsant.  Ferdinand von Schirach schreibt wie immer mit einer Eleganz, sehr melancholisch. Kein Wort ist zu viel, kein Satz überflüssig.  Einfach brillant und absolut empfehlenswert! Die Lektüre ist im Luchterhand Verlag bei Penguin Random House erschienen und hat 176 Seiten. www.penguinrandomhouse.de/Nachmittage/Ferdinand-von-Schirach

Nebenan - ein feinsinniger Roman

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Jedes Jahr im Oktober zur Frankfurter Buchmesse wird der Deutsche Buchpreis verliehen. Seit einer Woche stehen die 20 Nominierten für 2022 fest. Auch der Roman „Nebenan“ von Kristine Bilkau hat es auf die Longlist geschafft.  Es ist ein leiser Roman, der unter anderem von drei Frauen erzählt - von Astrid, einer Ärztin, Anfang 60. Sie ist verheiratet, hat Kinder und Enkel - von Julia, einer Keramikerin, Ende 30, die ebenfalls verheiratet ist und sich sehnlichst ein Kind wünscht - von Elsa, Astrids fast 80-jähriger Tante. Da sind deren Ängste, Geheimnisse, Sehnsüchte, unausgesprochene Wünsche und Gedanken.  Und da ist das plötzlich leerstehende Nachbarhaus, das zum Thema wird. Wohin sind die Bewohner verschwunden? Was ist mit der Mutter und den Kindern passiert in dem kleinen Ort am Nord-Ostsee-Kanal?  Ebenso wie die Protagonistinnen machen wir uns unsere Gedanken. Es geschehen merkwürdige Dinge. Alltägliche Situationen in der Geschichte lassen uns zunehmend misstrauischer ...

Vier Frauen, drei Generationen, eine Familie

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"Man kann nicht fortgehen, wenn das Herz da bleibt..." Freya ging fort, verließ das Dorf im Marschland, ihre Familie, ihre Freunde, um in Berlin neu anzufangen. In der Großstadt war sie ein anderer Mensch. Sie machte Karriere mit einer eigenen Firma. Niemand dort kannte ihre Vergangenheit. Aber macht das glücklich? Freyas Schwester, die 50-jährige Grete, blieb. Sie wollte oder schaffte es nicht, ihre Mutter allein zu lassen. Zudem war da noch Anna, Gretes uneheliche Tochter, für die sie die Verantwortung hatte. Ursprünglich wollte Grete Meeresbiologie studieren und ist letztendlich doch nie weggekommen aus ihrem Dorf an der Binnenelbe. Intensiv verspürt sie den Wunsch, im Herbst mit den Kranichen Richtung Süden zu ziehen. Und dann ist da auch Wilhelmine, die Mutter von Grete und Freya. Ihr Mann starb, als die Kinder noch klein waren. Alleine musste sie beide großziehen. Als es Wilhelmine gesundheitlich sehr schlecht geht, fahren Freya und Anna in ihre alte Heimat - und die...