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Herzerwärmend

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Die 15-jährige Linda sieht der Zukunft kritisch entgegen. Im Grunde genommen sieht sie für sich gar keine Zukunft. Ganz pragmatisch denkt sie darüber nach, ihrem Leben bald mal ein Ende zu setzen - wären da nicht Hubert und Kevin.  Nachbar Hubert, ein ehemaliger Bademeister, ist Mitte achtzig und an Demenz erkrankt. Kevin ist wie Linda Teenager und ihr bester Freund.  Um Hubert kümmert sich Linda mehrmals wöchentlich, um die polnische Pflegekraft Ewa zu entlasten. Sie reist mit ihm gedanklich in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der Huberts Frau noch gelebt hat. Lässt Huberts Wohnzimmer zum Schwimmbad werden, macht mit ihm Trockenübungen mit Schwimmflügeln.  Auch wenn dieser Roman sehr ernste Themen aufgreift, hinterlässt er kein bedrückendes Gefühl. Einfühlsam, ja teilweise sogar humorvoll erzählt Petra Pellini diese Geschichte. Die Autorin hat wunderbare Charaktere geschaffen, die man einfach mögen muss.  „Der Bademeister ohne Himmel“ ist eine Lektüre, die das Herz erwärmt, ein wun

Varianten des Lebens

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  Juni 1994:  Vier Jungs philosophieren an einem heißen Sommertag über die Möglichkeit, sich verschiedene Varianten des zukünftigen Lebens vorab ansehen zu können, reinschnuppern in dieses sozusagen, in einem dafür vorgesehenen Proberaum. Gefällt einem die Szenerie, kann man sie sich kaufen. Testen also für hundertdreißig Mark, das Leben dann schließlich einloggen für hundertdreißigtausend Mark.  So beginnt das neue Buch von Saša Stanišić „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“.   Allein der Titel ist schon auffällig und sehr speziell. Und so besonders wie dieser Titel, so sind auch die 12 Erzälungen. Besonders im positiven Sinne.  Guter Humor, Tiefgang und diese ganz besondere Sprache - das alles hat mich schon bei „Herkunft“ fasziniert, dem ersten Buch, das ich von Saša Stanišić gelesen habe. 2019 bekam er dafür den Deutschen Buchpreis - absolut verdient, wie ich finde.  Und auch diese Lektüre hier hat mir wieder ein

Ein Buch voller Melancholie

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„Dein Vater war ein ganz besonderer Mann, Tita. Er hatte einen Charme, der Frauen wie Männer dazu brachte, ihn zum Freund haben zu wollen.“ S. 204 Berlin 2004: Tita ist Grafikdesignerin und gestaltet Buchcover. Eines Tages bekommt sie einen Anruf aus Italien. Ein Notar teilt ihr mit, dass ihr Onkel verstorben sei und es die Erbschaft zu regeln gäbe, was für Tita heißt: auf nach Sizilien. Dort wartet das Landgut Magní auf sie. Die Erbengemeinschaft möchte es verkaufen, doch Tita hat andere Pläne. Dieses Buch nimmt uns mit ins sonnige Sizilien damals und heute, aber auch ins Berlin der 60er und 70er Jahre, in die Zeit, als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Titas Vater Giovanni Di Stefano, genannt Gianni, war einer von ihnen.  Wir erfahren, wie es war, damals in Sizilien zu leben, wo es keine Arbeit für die jungen Männer gab. Und wie es ist, in ein Land zu kommen, in dem alles fremd ist.  Gianni fasst nach und nach Fuß in Deutschland, er geht nach Berlin und verliebt sich do

Großartige Fortsetzung

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Bevor ich die Leseprobe geöffnet hatte, wusste ich noch nicht, dass dieses Buch eine Fortsetzung von „22 Bahnen“ ist. Nach den ersten Sätzen allerdings war es klar, und allein das hat mich schon sehr begeistert. Die Geschichte geht also weiter. Nach Tilda steht nun deren jüngere, inzwischen erwachsene Schwester Ida im Mittelpunkt. Nach dem Tod ihrer alkoholkranken Mutter macht sie sich mit lediglich einem alten Hartschalenkoffer, ihrem MacBook und Kleidung auf den Weg, raus aus der Mietwohnung, die aufgelöst werden soll - aber wohin? Das weiß Ida selbst noch nicht so genau. Von Tilda hat sie ein Bahnticket nach Hamburg bekommen. Dort wohnen nämlich die Schwester und ihr Mann Victor mit ihren beiden Kindern. Aber will Ida wirklich dorthin oder soll sie einfach weiterfahren?  Sie landet schließlich auf Rügen und lernt dort Kurt kennen, in dessen Kneipe sie einen Job bekommt. Zudem wird sie von ihm und seiner Frau Marianne in deren Haus herzlich aufgenommen und ganz liebevoll umsorgt. Und

Atmosphärischer Sommerroman

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Thea ist Mitte fünfzig. Mit Ende zwanzig ist sie von einen Tag auf den anderen aus Deutschland weg. In Portugal an der Algarve wurde sie sesshaft. 25 Jahre bleibt die dort, hütet eine Ziegenherde. Doch dann spürt sie starkes Heimweh und Sehnsucht nach ihrer alten Heimat. Schließlich macht sie sich auf den Weg, fährt 3000 km mit zwei Ziegen in ihrem Transporter zurück nach Deutschland.  Benno ist im gleichen Alter wie Thea und lebt in der Lüneburger Heide auf seinem Hof. Dort auf dem „Lebenshof“ nimmt er kranke und alte Tiere auf. Das Geld ist jedoch knapp, die Schulden hoch, daher will Benno zwei Wohnungen im alten Kesselhaus vermieten, die er ausgebaut hat. In eine davon zieht Thea ein.  Die dritte im Bunde ist Juli, eine junge Frau, die auf dem Weg nach Amsterdam ist - zu Fuß auf Wanderschaft. Ihre Reise wird allerdings abrupt unterbrochen, als sie im Wald stolpert und stürzt. Benno findet die Verletzte und nimmt sie mit auf seinen Hof.  „Aber im Leben bekam man nie, was man wollte.

Erinnerungen

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„Frisches Brot - bitte sofort öffnen!“ steht auf dem Päckchen. Wie bitte? Wer wie ich solch eine Überraschung vom KiWi-Verlag bekommen hat, der weiß, worum es geht. In dem Bloggerpäckchen, das vor Kurzem bei mir ankam, befand sich der Debütroman „Mühlensommer“ von Martina Bogdahn. Und zudem war ein frischer Laib Bauernbrot dabei.  Martina Bogdahn stammt von einem Einödhof in Mittelfranken, genauer gesagt von der Mäusleinsmühle bei Pleinfeld. Dort wird seit einigen Jahren wieder ganz traditionell Brot gebacken. Klingt romantisch und idyllisch, möchte man meinen. Ist es bestimmt auch. Aber als Kind hat Martina das nicht immer so empfunden. Damals gab es noch Landwirtschaft mit Tieren am Hof. Und die wollten versorgt werden. Sommer wie Winter. Das hieß, Urlaube waren für die Familie nicht drin. Wer sollte sich sonst um den Hof kümmern. Auch direkte Nachbarn gab es keine, sodass man meist nur mit seinen Geschwistern spielen konnte.  Für Martina stand als Kind fest, wenn sie erwachsen ist,

Sommerliebe

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Katerina Silwanowa und Elena Milasowa erzählen in „Du und ich und der Sommer“ von dem 16-jährigen Jura, der seine Ferien im Sommerlager in Charkiw verbringt und dort seine Zuneigung zu dem 19-jährigen Betreuer Wolodja entdeckt. Beide Teenager fühlen sich zueinander hingezogen und wissen doch, dass diese Liebe in ihrem Land verboten ist.  Nach den Ferien verlieren sie sich aus den Augen, und erst 20 Jahre später beschließt Jura, nach Wolodja zu suchen und macht sich auf die Reise in die Gegend des ehemaligen Ferienlagers.  Das russisch-ukrainische Autorenduo schreibt sehr berührend und gefühlvoll über diese ganz besondere Liebe damals. Eine Beziehung zwischen zwei Männern, die auch heute noch verboten ist in Russland, und das Anderssein steht dort unter Strafe.  Wie traurig und erschreckend! Der bewegende Roman ist eine ganz besondere Lektüre und verdient es, von vielen Menschen gelesen zu werden. Absolut empfehlenswert!  www.penguin.de/Du-und-ich-und-der-Sommer