Unter der Haut, unter Grund
„Unter Grund“ ist eines dieser Bücher, das still beginnt und trotzdem sofort eine Spannung aufbaut, die einen nicht mehr loslässt. Franka, junge Lehrerin, besucht mit ihrer Klasse den NSU-Prozess – und verlässt plötzlich panisch den Gerichtssaal. Ohne Vorwarnung holt sie etwas ein, das sie tief verdrängt hat. Ihre Rückkehr ins Heimatdorf wirkt wie eine Flucht, ist aber in Wahrheit eine Konfrontation mit dem, was lange unter der Oberfläche geschwelt hat.
Denn da ist etwas, das nicht verarbeitet wurde: der Sommer 2006. Franka war fünfzehn, der Vater war gestorben, sie fühlte sich fremd im eigenen Leben – und fand Anschluss bei Jugendlichen aus der rechten Szene. Was mit Wut und Orientierungslosigkeit begann, wurde schnell gefährlich. Liepold zeigt, wie subtil Radikalisierung ablaufen kann – leise, fast beiläufig.
Die Autorin erzählt das mit ruhiger Sprache und viel Gespür für Zwischentöne. Nichts wird überzeichnet. Gerade das macht die Geschichte so intensiv. Frankas Scham ist spürbar, ihr Schweigen, die Sprachlosigkeit im Dorf. Es geht um Schuld, um Verantwortung – aber auch um das Ringen mit sich selbst.
Was mich besonders berührt hat: Die Geschichte bleibt nah an der Figur, ohne zu verharmlosen oder zu urteilen. Die Sprache ist klar, unaufgeregt, fast nüchtern – und gerade deshalb kraftvoll. Die Rückblenden greifen nicht nach Effekten, sondern zeigen, wie Vergangenheit nachwirken kann, wenn sie nie wirklich aufgearbeitet wurde.
„Unter Grund“ ist ein stilles, mutiges Debüt. Es fragt nicht nach einfachen Lösungen, sondern schaut genau hin. Wer sich auf diese leisen Töne einlässt, wird belohnt – mit einer Geschichte, die nachwirkt, weil sie mit offenem Blick erzählt wird.
Die Lektüre ist 2025 Seiten im Blessing Verlag erschienen und hat 256 Seiten.
www.penguin.de/annegret-liepold/unter-grund
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