Posts

Wenn das Leben plötzlich still steht

Bild
  Frank Wawerzinek erzählt in seinem Buch sehr offen und ehrlich aus seinem Leben. Seine Sprache ist direkt, manchmal rau, aber immer eindringlich. Das Buch ist wie ein langer Brief geschrieben an eine geliebte Person, die für ihn sehr wichtig ist. Dadurch wirkt der Text sehr persönlich und nah. Der Autor berichtet von seiner Zeit als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom. Am Anfang fühlt er sich dort unwohl, findet keinen Zugang zu der Stadt und auch das Schreiben fällt ihm schwer. Erst als die Corona-Pandemie beginnt und alles stillsteht, kommt seine Kreativität langsam zurück. Doch dann trifft ihn eine schwere Nachricht: Er hat Krebs. Diese Diagnose verändert alles. Trotz der Krankheit gibt Wawerzinek nicht auf. Er zieht sich zurück, denkt viel über sein Leben, seine Arbeit und die Liebe nach. Das Buch handelt davon, wie man mit Angst und Endlichkeit umgeht und trotzdem nicht den Mut verliert. „Rom sehen und nicht sterben“ ist ein ruhiges, ehrliches Buch über das Leben, die Kra...

Nah dran am Leben

Bild
Nava Ebrahimis “Und Federn überall“  spielt in einer Kleinstadt im Emsland, deren wichtigster Arbeitgeber ein Geflügelschlachthof ist. Was zunächst nüchtern klingt, entwickelt sich zu einem dichten, fesselnden Panorama. Im Mittelpunkt stehen sechs sehr unterschiedliche Figuren: eine iranische Schriftstellerin, ein halbblinder Dichter aus Afghanistan, eine Altenpflegerin aus Polen, eine Ingenieurin aus Siebenbürgen, ein Prozessoptimierer und eine alleinerziehende Mutter, die am Fließband arbeitet. Kapitelweise wechseln die Perspektiven, sodass man die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt. Der Roman beleuchtet Migration, Arbeitsbedingungen, Kapitalismus, Tierschutz und persönliche Krisen, ohne je belehrend zu wirken. Jede Figur ist einfühlsam gezeichnet und wirkt nahbar. „Und Federn überall“  ist ernst und berührend, gleichzeitig komisch, manchmal satirisch und voller gesellschaftlicher Relevanz. Ein kluger, origineller Roman, der nachhallt und den ich sehr empfehlen...

Ein Leben in Briefen

Bild
Ein Roman, der komplett durch Briefe erzählt wird? Ja, ungewöhnlich, aber mir hat das gefallen. Worum geht’s?  In die „Die Briefeschreiberin“ von Virginia Evans begegnen wir Sybil van Antwerp - 73 Jahre, Juristin, Mutter, Gärtnerin. Und durch das Lesen ihrer täglichen Briefe fühlt es sich an, als würden wir ihr direkt beim Leben zuschauen. Sie ist witzig, direkt, manchmal etwas ruppig, aber immer charmant und total lebendig. Was mir besonders gefallen hat: Sybil ist nicht eindimensional. Man lernt Stück für Stück alle Facetten ihres Lebens kennen, ihre Gedanken, ihre Erinnerungen und auch ihre kleinen Macken. Dabei schafft es das Buch, einen sowohl schmunzeln als auch nachdenken zu lassen. Die Briefe geben dem Ganzen noch einen richtig persönlichen Ton. Man spürt, wie viel Herz und Witz in jedem geschriebenen Wort steckt. Das kleine Personenverzeichnis am Ende war das Sahnehäubchen - ein cleverer Abschluss, der alles noch einmal abrundet. Kurz gesagt: Ein Roman, der leicht zu lesen...

Geschichten voller Klarheit und Melancholie

Bild
Eine neue Lektüre von Ferdinand von Schirach - darauf freue ich mich immer sehr. Ich mag seine Erzählungen, Essays und Gedanken.  In 14 Kapiteln begegnen uns diesmal wieder unabhängig voneinander die unterschiedlichsten Menschen. Teilweise sind es bekannte Persönlichkeiten. Wir reisen nach Rom, Berlin, Wien. Es geht an die Côte d´Azur und bis nach Kapstadt.  Schirach schreibt wie immer direkt, ungeschönt und eindringlich, aber gleichzeitig wie gewohnt mit einer Eleganz - und immer schwingt ein Hauch Melancholie mit. Einfach bewundernswert.  Entstanden ist erneut ein brillanter, stilvoller Erzählband. Ferdinand von Schirach auf höchstem Niveau. Unbedingt lesen! Und wer das alles gerne auf der Bühne sehen möchte: Ab Herbst tourt der Schriftsteller mit »Der stille Freund«, durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.  Das Buch ist 2025 im Luchterhand Verlag der Penguin Random House Verlagsgruppe erschienen.  www.penguin.de/ferdinand-von-schirach/der-stille-freund...

Zwischen Gefühl und Gebäck

Bild
„Kann man sich mit Mitte vierzig noch mal so richtig verlieben - und wenn ja, in wen bitte schön?“ Sam ist 43 und Grundschullehrerin in Hamburg. Ihr Leben ist stabil, aber eintönig – in ihrem Beruf fehlt die Erfüllung, in der Liebe die Leichtigkeit. Ihre 6-jährige Tochter sowie Freundinnen geben ihr Halt, doch innerlich spürt Sam, dass etwas fehlt. Beim Klassentreffen in Lüneburg begegnet sie Max, ihrem Jugendschwarm, wieder. Alte Gefühle flammen auf. Und gleichzeitig sorgt der junge, ambitionierte Direktor Finn für Wirbel an ihrer Schule – und in ihrem Leben. Was Sam wirklich begeistert, ist das Macaron-Backen. In der Küche findet sie Freude und ein Stück Selbstbestimmung. Es wird immer deutlicher: Vielleicht ist es an der Zeit, den sicheren, aber frustrierenden Job hinter sich zu lassen. Der Roman springt in einzelnen Kapiteln immer wieder zurück in die Vergangenheit. Rückblenden in Sams Jugend zeigen Unsicherheiten, Sehnsüchte und prägende Erfahrungen – sie bilden einen starken Kont...

Ein starkes Debüt

Bild
Julia Engelmann kann nicht nur Poetry Slam – jetzt erzählt sie zum ersten Mal eine Geschichte. Und die geht ganz leise, aber tief unter die Haut. Charlie ist zwischen Kindsein und Erwachsenwerden gefangen. Ihr Vater ist weg, ihre Mutter hat einen neuen Partner, und in der Schule läuft längst nicht alles rund. Selbst ihre beste Freundin distanziert sich, und dann verliebt sich ausgerechnet diese in den Jungen, den Charlie mag. Der Sommer fühlt sich schwer an, bis Kornelius – genannt Pommes – in ihre Klasse kommt. Mit ihm kann Charlie wieder offen reden und spürt, dass sie nicht allein ist.⠀ Der Roman ist schmerzlich schön – ehrlich und mit viel Herz erzählt, ohne zu dramatisch zu werden. Zwischen traurigen Momenten gibt es immer wieder auch humorvolle und lebensnahe Szenen, die das Ganze mit einer angenehmen Leichtigkeit tragen. Man möchte Charlie einfach in den Arm nehmen und ihr zeigen, dass alles gut wird. Es ist eine Geschichte über Selbstzweifel, Freundschaft und den Mut, sich auf ...

Zwischen Idyll und Abgrund

Bild
Wie gut kennst du die Menschen um dich herum wirklich? Kristina Hauff nimmt uns in „Schattengrünes Tal“ mit in ein abgelegenes Dorf im Schwarzwald – ein Ort, an dem jeder jeden kennt. Oder zu kennen glaubt. Worum geht’s konkret? Lisa lebt mit ihrer Familie im Schwarzwald und arbeitet im Hotel ihres Vaters. Als eine fremde Frau zu Gast dort ist, verändert sich die Stimmung – im Dorf und in Lisas Umfeld. Was als Neuanfang wirkt, bringt alte Spannungen ans Licht und stellt vieles infrage. „Schattengrünes Tal“ ist spannend und mitreißend erzählt – von der ersten Seite an gelingt es Kristina Hauff, eine dichte Atmosphäre aufzubauen, die einen regelrecht in die Geschichte hineinzieht. Die Figuren sind sehr plastisch gezeichnet, sodass man sie sich mühelos vorstellen kann – mit all ihren Ecken und Kanten. Besonders bleibt mir Daniela im Gedächtnis, wenn auch im negativen Sinn: Ihre Art ist extrem unangenehm, fast beängstigend.  Der Roman lebt stark von der Dynamik zwischen den Charakteren...