Posts

Unter der Haut, unter Grund

Bild
„Unter Grund“ ist eines dieser Bücher, das still beginnt und trotzdem sofort eine Spannung aufbaut, die einen nicht mehr loslässt. Franka, junge Lehrerin, besucht mit ihrer Klasse den NSU-Prozess – und verlässt plötzlich panisch den Gerichtssaal. Ohne Vorwarnung holt sie etwas ein, das sie tief verdrängt hat. Ihre Rückkehr ins Heimatdorf wirkt wie eine Flucht, ist aber in Wahrheit eine Konfrontation mit dem, was lange unter der Oberfläche geschwelt hat. Denn da ist etwas, das nicht verarbeitet wurde: der Sommer 2006. Franka war fünfzehn, der Vater war gestorben, sie fühlte sich fremd im eigenen Leben – und fand Anschluss bei Jugendlichen aus der rechten Szene. Was mit Wut und Orientierungslosigkeit begann, wurde schnell gefährlich. Liepold zeigt, wie subtil Radikalisierung ablaufen kann – leise, fast beiläufig. Die Autorin erzählt das mit ruhiger Sprache und viel Gespür für Zwischentöne. Nichts wird überzeichnet. Gerade das macht die Geschichte so intensiv. Frankas Scham ist spürbar, i...

Mode, Mord und mediterranes Flair

Bild
In „Provenzalisches Licht“  entführt uns Sophie Bonnet erneut in die malerische Provence – diesmal mit einem Hauch von Haute Couture. Der 11. Fall für Pierre Durand beginnt mit der Planung einer glamourösen Modenschau in Sainte-Valérie, die jedoch bald von dunklen Schatten überschattet wird. Als der exzentrische Designer Cyril Fontanel anonyme Morddrohungen erhält, wird Pierre mit der Sicherheit der Veranstaltung betraut. Doch hinter den Kulissen der Modewelt brodeln alte Geheimnisse und Eifersüchteleien. Die Ermittlungen führen Pierre bis nach Tarascon, wo eine tote Frau gefunden wird, die scheinbar mit allem in Verbindung steht. Sophie Bonnet gelingt es meisterhaft, die schillernde Welt der Mode mit der idyllischen Kulisse der Provence zu verweben. Die detailreichen Beschreibungen lassen uns beim Lesen die Atmosphäre förmlich spüren – von den farbenfrohen Stoffen bis zum Duft der Lavendelfelder.   Ein fesselnder Krimi, der nicht nur durch seine spannende Handlung überze...

Wenn Vergangenheit auf Zukunft trifft

Bild
Was wäre, wenn Zeitreisen möglich wären – und Teil eines streng geheimen Regierungsprojekts? In „Das Ministerium der Zeit“  erzählt Kaliane Bradley eine faszinierende Geschichte über Fremdheit, Anpassung und Liebe in einer nahen Zukunft.  Eine Wissenschaftlerin wird beauftragt, den viktorianischen Polarforscher Graham Gore in die Gegenwart zu integrieren. Was als Dienstauftrag beginnt, entwickelt sich zu einer intensiven, bittersüßen Beziehung – während über allem die Frage schwebt: Wie viel Vergangenheit verträgt die Zukunft? Bradleys Stil ist klug, feinfühlig und voller subtilem Humor. Besonders berührt hat mich die Art, wie sie Entwurzelung und Identität thematisiert. Die Beziehung der Figuren ist glaubwürdig und tiefgründig gezeichnet, die Atmosphäre leicht melancholisch, ohne jemals kitschig zu werden. Einziger kleiner Kritikpunkt: Manche Details der Welt bleiben vage. Doch das tut der Sogwirkung des Romans keinen Abbruch – im Gegenteil, es verstärkt seine träumerische St...

Stürmisch und mitreißend

Bild
Bei diesem Buch hat sich mal wieder gezeigt, wie man auf Instagram positiv beeinflusst werden kann. Ich hatte den Roman zwar schon beim Bloggerportal entdeckt, aber aufgrund meines hohen Stapels ungelesener Bücher zunächst nicht angefordert und ihn nur auf der Merkliste behalten. Doch dann folgte ein Post nach dem anderen - alle haben mich mehr und mehr neugierig gemacht.  Kurzum: Ich habe „Wild wuchern“ angefordert – und das Buch kam umgehend zu mir. Innerhalb kürzester Zeit habe ich es dann gelesen und das keineswegs bereut. Es ist eine mitreißende, kraftvolle Geschichte! Da ist Marie, die sozusagen die „Goldmarie“ ist – immer anständig, immer hilfsbereit. Sie lässt das Luxusleben in der Stadt hinter sich und flieht vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu ihrer Cousine Johanna auf eine abgelegene Alm in den Bergen. Johanna, die schon als Kind ganz anders war als Marie – sie konnte besser mit Tieren als mit Menschen sprechen, fühlte sich in der Natur wohler als in der Stadt und redete ...

Herrlich schräg und absolut spannend

Bild
  Was für ein irritierendes Cover!   Wie gut, dass man den Schutzumschlag einfach entfernen und weit weg legen kann.  Aber was für eine großartige Geschichte!  Ich bin nur so durch die Seiten gerauscht.  Habe verfolgt, wie Franz Escher auf den Elektriker wertet, weil seine Steckdose einen Wackelkontakt hat. Habe erfahren, dass er währenddessen ein Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo liest.  Ich habe verfolgt, wie Elio im Gefängnis auf seine Entlassung wartet und um sein Leben fürchtet. Wie er aus Angst nachts wach bleibt und ein Buch liest – über Franz Escher der auf den Elektriker wartet. Wolf Haas hat mich mit „Wackelkontakt“ richtig begeistert. Die Geschichte ist so crazy und so gut!  Das Buch habe ich im Urlaub ausgeliehen bekommen. Ganz spontan. Und es war die perfekte Lektüre für mich. Kurzweilig, spannend, verrückt. Richtig gut!  Bisher kannte ich von Wolf Haas nur „Junger Mann“. Aber nun will ich unbedingt noch mehr von ihm lesen....

Nähe und Abstand

Bild
In „Halbinsel“ erzählt Kristine Bilkau von der komplexen Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Linn, Mitte 20, und ihrer alleinerziehenden Mutter Annett, Ende 40.  Nach einem Schwächeanfall zieht Linn zu Annett an die Nordsee, um sich eine berufliche Auszeit zu nehmen und ihr Leben neu zu ordnen. Aus einer Woche werden Monate. Das Haus am Wattenmeer wird zu einem Rückzugsort für Linn.  In dieser Phase der Unsicherheit fragt sich die junge Frau, was ein erfülltes Leben wirklich ausmacht. Annett wiederum will das „Beste“ für ihre Tochter – doch was bedeutet das? Für sie sind es die traditionellen Werte: Abitur, Studium, Karriere. Doch könnte das „Beste“ nicht auch in einem einfachen, bodenständigen Job liegen? Annett ringt mit ihrem Drang, Linn zu schützen, und der Erkenntnis, dass sie ihre Tochter nicht kontrollieren kann. Wie bereits im Buch „Nebenan“, das 2022 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, hat mich Kristine Bilkau auch hier wieder mit ihrer leisen, aber ein...

Die Last der Vergangenheit

Bild
Als Lena und ihre Mutter Anja die Wohnung der Großmutter ausräumen, entdecken sie den Nachlass von Anjas Großtante Clara. Deren Leben war geprägt von unausgesprochenen Geheimnissen. In den 1920er Jahren in Berlin hatte Clara wenig Interesse an Politik, doch als sie dem Revolutionär Aleksei in ihrem Hundesalon geheime Treffen ermöglicht, bringt sie sich und ihre Familie in Gefahr.  Hundert Jahre später muss sich Lena mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um ihre eigene Zukunft zu finden, und erkennt, wie Scham und Schuld ihre Familie bis heute beeinflussen.  Katharina Fuchs erzählt - wie gewohnt sehr einfühlsam und detailliert - in ihrem neuen Buch die Geschichte ihrer Großtante Clara. Gleichzeitig lässt sie uns ihre Großmutter Anna wieder treffen. Wer „Zwei Handvoll Leben“ kennt, dem ist Anna bereits vertraut.  „Vor hundert Sommern“ ist ein großer, vielschichtiger Schmöker, der uns mitnimmt in die Zeit der 1920er und 30er Jahre. Immer wieder blicken wir in einzelnen Ka...